Anja

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Krankheit und Verlustangst begleiteten Anja fast ihr ganzes Leben. Wie sie es geschafft hat, trotzdem zuversichtlich nach vorn zu schauen und ihrer Arbeit dadurch tieferen Sinn zu verleihen, erzählt sie uns in ihrer Geschichte.

Krankheit, Krankenhäuser, Arztpraxen und die Angst, meine Mutter zu verlieren, begleiteten mich seit meinem dritten Lebensjahr. Meine Mutter hatte von ihrem Vater die familiäre Adenomatöse Polyposis (FAP)1 geerbt, und ich wiederum von ihr. Lange wollte ich nichts davon wissen, bis ich im Alter von 25 Jahren, im Jahr 1998, selbst die Diagnose FAP erhielt. Die zahlreichen Polypen in meinem Dickdarm machten eine Operation unumgänglich. Erst heute, nach all der Zeit, verstehe ich, dass ich damals vor allem Angst hatte – Angst davor, mein Leben könnte bald vorbei sein – und deshalb unter Schock stand. Die Operation verlief gut, und bereits ein Jahr später war ich wieder so fit, dass ich eine Umschulung beginnen konnte.

In dieser Zeit entstand in mir die Idee, erkrankte Frauen zu unterstützen und ihnen dabei zu helfen, einen Weg zurück ins Berufsleben zu finden. Warum? Für mich persönlich bedeutete Arbeit sehr viel: Sie gab meinem Leben Struktur, lenkte mich ab und stärkte mein Selbstwertgefühl. So wagte ich den Schritt in die Selbstständigkeit und entwickelte mich zu einer Businessfrau. Leider scheiterten meine Projekte in diesem Bereich, während meine Online-Marketing-Agentur erfolgreich lief. Doch ich wurde zur Workaholikerin und hatte innerlich nicht verstanden, wie ich meine Fähigkeiten als Führung des Teams sowie im Vertrieb und in der Akquise sinnvoll einsetzen konnte. Der Wunsch, mit Frauen zu arbeiten, blieb stets präsent und meldete sich immer wieder über die vergangenen 20 Jahre – doch gleichzeitig wuchs meine Unzufriedenheit, weil ich diesen Wunsch aus meinem Herzen verlor.

Seit Jahren litt ich unter einer Zyste am Eierstock, die kontinuierlich wuchs und medizinisch überwacht wurde. Im Oktober 2023 wechselte ich zu einem neuen Gynäkologen, der mir wenige Wochen zuvor empfohlen worden war – Zufälle gibt es nicht. Bei der Untersuchung war er sichtlich schockiert; noch heute erinnere ich mich an seine Worte: ›So etwas habe ich in meinem Leben noch nie gesehen.‹ Ich wollte die Diagnose zunächst nicht wahrhaben – selbst das MRT-Ergebnis fiel mir schwer zu akzeptieren. Ich sagte zu meinem Mann: ›Alles klar, wir können morgen in den Urlaub fahren.‹ Tatsächlich waren wir noch im Urlaub, doch wirklich ›alles klar‹ war es längst nicht mehr. Heute weiß ich: Das war ein Schutzmechanismus. Diese Diagnose zu begreifen, erfordert Zeit, Kraft sowie viel Liebe und Unterstützung von Familie, Freunden und Ärzten.

Noch während meines Urlaubs auf einem Segelboot in Griechenland wuchs der Tumor so stark an, dass er meine Nieren abdrückte und ich die letzten Tage vor Schmerzen kaum noch ertragen konnte. In dieser schwierigen Zeit hatte ich das Gefühl, einen Schutzengel an meiner Seite zu haben. Die Operation wurde durch das schnelle Einsetzen von Harnleiterschienen deutlich erleichtert. Im November wurde ich schließlich in der Universitätsklinik Homburg operiert. Ich hatte große Angst, dass mein Darm verletzt werden könnte und ich einen künstlichen Darmausgang erhalten müsste. Zum Glück verlief alles gut – erneut spürte ich die Unterstützung meines Schutzengels. Dennoch ist mein Darm nach allem noch immer etwas beeinträchtigt.

Wie der Professor einen Tag nach der OP erklärte, handelte es sich nicht um einen gutartigen Tumor. Diese Diagnose war für mich ein Wendepunkt: Ich wusste, dass ich mein Leben grundlegend verändern musste, denn so konnte es nicht weitergehen. Ich bin sehr dankbar, dass mein Mann, meine Eltern, meine Familie und Freunde mich in dieser Zeit so liebevoll begleiteten.

Ich war nicht allein – doch es war eine schwierige Zeit, eine Zerreißprobe für meinen Mann und mich, bei der unsere Nerven stark beansprucht wurden.

Es stand fest: Ich werde eine Chemotherapie erhalten. Für mich, die bislang vor allem auf Natur- und Alternativmedizin gesetzt hatte, war das ein großer Schritt. Also entschied ich mich für eine Kombination beider Methoden – parallel dazu begann ich, mich intensiv mit mir selbst auseinanderzusetzen: Was bewegt dich? Was macht dich unzufrieden? Welche innere Unruhe trägst du mit dir, und wovor versuchst du wegzulaufen?

Während meiner Chemotherapie nahm ich mir bewusst eine Auszeit für mich selbst. Mein Alltag beschränkte sich auf die Chemotherapie, Spaziergänge, Arzttermine und meine Therapiesitzungen. Darüber hinaus verbrachte ich viele Stunden in meinem Schaukelstuhl, blickte aus dem Fenster und meditierte.

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Nach und nach gelang es mir, meine Gefühle anzunehmen, persönliche Grenzen zu erkennen und zu setzen sowie mich selbst wieder wahrzunehmen. Die sechs Chemotherapie-Zyklen habe ich relativ gut bewältigt – trotz der typischen Nebenwirkungen. Dank regelmäßiger Spaziergänge und Walking konnte ich viele dieser Beschwerden lindern. Zudem half mir die innere Haltung der Akzeptanz und der Wunsch, dass die Therapie mich auf meinem Weg zur Genesung unterstützt.

Während der Chemotherapie wurde bei mir ein Polyp im Zwölffingerdarm entdeckt, der so stark gewachsen war, dass eine dringende Entfernung notwendig wurde. Dies bedeutete erneut Krankenhausaufenthalte und weitere Kontrolluntersuchungen.

Woher ich die Kraft und den Mut nehme? Oft weiß ich es selbst nicht genau. Doch mein tiefster Wunsch zu leben, glücklich zu sein und Liebe zu erfahren, gibt mir Halt. Ich habe gelernt, meine Ängste anzunehmen und sie nicht zu verdrängen – je mehr ich sie akzeptiere, desto besser geht es mir. Diese Herausforderung auszuhalten ist eine große Aufgabe, aber ich gehe meinen Weg weiter.

In dieser Zeit heirateten mein Lebensgefährte und ich nach 18 gemeinsamen Jahren am Lago Maggiore. Meine Mutter freute sich sehr über unsere Hochzeit – doch nur einen Tag später erlitt sie eine Hirnblutung und verstarb. Wieder stand ich vor der Frage, wie ich all das bewältigen sollte. Ich ließ die Trauer zu und begann, meiner Mutter zu vergeben. Ich spüre ihre Nähe jeden Tag und das Gefühl, dass sie mich beschützt.

Kraft schöpfe ich daraus, endlich meine Ideen in die Tat umzusetzen. Inzwischen arbeite ich deutlich weniger in der Online-Marketing-Agentur, da mein Team auch ohne meine ständige Unterstützung erfolgreich agiert. Ich habe dort meine Rolle gefunden, kenne meine Stärken genau und habe nun die Zeit und Muße, neue Projekte, unter anderem zur Unterstützung chronisch erkrankter Frauen, zu entwickeln.

Name
Anja
Interviewt von
Erzählt am
7.11.2025
Verstorben am

1) Familiäre adenomatöse Polypose: »Abk. FAP; vererbbare Erkrankung des Dickdarms, bei der sich Hunderte von Polypen (Schleimhautausstülpungen, Schleimhautwucherungen) bilden, die unbehandelt zu Krebs entarten« (Quelle: Lexikon des www.krebsinformationsdienst.de/)

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