
Gar nicht mal überraschend, oder? Ich erzähle euch dazu eine kleine Geschichte, denn die Erinnerung an diese rettet mich durch alle Zeiten.
Ich bin dem Krebs in meinen 48 Lebensjahren nun schon viermal begegnet. Einmal davon mittelbar, als meine Mutter an Brustkrebs erkrankte. Da war ich gerade mal 13 Jahre alt und sie 34. Ich erkrankte mit 34 dann ebenfalls an Brustkrebs. Zehn Jahre später folgte dann ein Tumor im Darm. Aktuell erhole ich mich (leider wieder einmal) von einer Chemotherapie, nachdem sich der Krebs in meinem Uterus ausgebreitet hat. Ich bin es gewohnt, Menschen um mich herum, schlechte Nachrichten zu überbringen. Die Reaktion auf ›Ich habe Krebs‹ oder – seit meiner zweiten Erkrankung – ›Der Krebs ist wieder zurück‹ ist eigentlich immer dieselbe: Ein betroffener Blick und ein stummes, aber sehr raumfüllendes ›Uff, wie reagiere ich nun?‹. Weil jeder weiß, es gibt es rein gar nichts zu sagen, was hier irgendetwas besser machen könnte.
In meiner Ausbildung zur Trauerbegleiterin für Kinder und Jugendliche, habe ich genau zu dieser Problematik einen absoluten Lifehack kennengelernt. Und der ist so simpel, wie er klingt: Die – von Krebs oder Trauer betroffene – Person am Leben halten. Also dafür sorgen, dass sie isst, trinkt und es warm hat, weil sie es in diesem Moment selbst einfach nicht kann. Ihre Überlebenskräfte werden gerade anderweitig benötigt. ›Ohne Mampf kein Kampf‹, hat mal eine Freundin gesagt, als sie mich in einer schweren Zeit mit Suppe versorgte. Und genau so ist es: Ohne ausreichend Essen und Trinken ist nicht genug Kraft da, um alles zu stemmen. Mit Punkt drei, dem Warmhalten, lassen sich sogar zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Denn ein heißer Tee sorgt für den Flüssigkeitshaushalt und wärmt zugleich.
Die Chemotherapie während meiner Darmkrebserkrankung hat mir Einiges abverlangt. Mir war ständig übel, ich musste mich häufig übergeben und ich litt an Nervenschädigungen, welche Auswirkungen auf meine Hände, Gesicht und sogar auf meine Stimmbänder hatten. On Top noch Lungenembolien – mein Gesamtzustand war mehr als kläglich. Die letzten beiden Chemo-Gaben fand mein Körper dann auch gar nicht mehr so gut und reagierte dementsprechend, sodass ein Freund darauf bestand, mich nach der Chemo einzusammeln, um dann eine Zeit bei mir zu bleiben. Er ließ sich nicht mal davon abschrecken, als ich mich auf dem Parkplatz der Praxis direkt neben sein Auto übergab. Eine Situation, die ich nie vergessen werde, denn er stand zur Begrüssung neben dem Auto, breitete mit einem strahlenden Lächeln seine Arme zur Begrüßung aus und ... blieb in genau dieser Position, um mich nach meiner Erleichterung mit einem fröhlichen ›Na, freust du dich auch so, mich zu sehen?‹ zu empfangen. Ein Moment, der mich immer wieder schmunzeln lässt.
Zu Hause angekommen, musste ich direkt aufs Sofa und zog mir die Decke über die Nase, als er mir die Decke wieder abnahm und mich leicht tadelnd ansah: ›Weißt du denn gar nicht, dass dir nur warm wird, wenn du zugedeckt wirst?‹ sagte er mit einem Schmunzeln, breitete die Decke wieder über mich aus und schob sie an den Enden noch leicht unter, so wie er es auch bei seiner Tochter macht. Ich kann gar nicht sagen, wie schön sich das in diesem Moment – trotz aller schon einsetzenden Nebenwirkungen – angefühlt hat.
In den nächsten Stunden konnte ich nicht viel zur Unterhaltung beitragen, da ich die meiste Zeit schlief. Er saß geduldig neben mir auf einem Sessel. Wie er sich in der ganzen Zeit beschäftigt hat, weiß ich gar nicht. Was ich aber immer wieder mitbekam: Vor mir stand immer eine dampfende Tasse Tee.
Einige Zeit später – es mögen sogar Monate oder ein Jahr gewesen sein – fragte ich mich, ob es wirklich immer eine frische Tasse Tee war. Also fragte ich ihn. Und er sagte ›Ja, ich wollte, dass du etwas Warmes hast, wenn du aufwachst. Da ich keine Thermoskanne finden konnte, habe ich immer frischen Tee gekocht, sobald der letzte kalt wurde.‹ Ich fragte ihn, ob er das mal in irgendeinem Krebs-Ratgeber gelesen habe. ›Nein‹, sagte er, ›Ich wollte einfach, dass du es warm hast.‹. Diese Wärme hat mir geholfen, als der Schüttelfrost kam. Und sie hilft mir bis heute, wenn ich mich daran erinnere. Denn es ist nicht nur die Wärme des Tees, sondern auch die Wärme der Freundschaft in schlimmen Zeiten.
Die Verlässlichkeit, die Hingabe und das Gefühl, dass ich zwar Schmerzen, Übelkeit und Schüttelfrost allein körperlich aushalten muss, die Wärme einer mit Freundschaft festgestopften Decke aber Körper und Seele wärmt.«



