In guter Gesellschaft

Lebensgeister: In guter Gesellschaft
Lebensgeister
Die heutige Geschichte von Dani erzählt von einem tiefen Einschnitt, der Suche nach Zugehörigkeit – und davon, wie eine neu gewonnene Gemeinschaft zu einem Ort des Heilens wurde:

»Als ich nach der OP das erste Mal mein Gesicht sah, war mir schnell klar: Dieses Gesicht, das mich 38 Jahre begleitet hatte, das mich gestern noch aus dem Spiegel angeschaut hatte – ja, ein Stück meiner Identität – wird es so nicht mehr geben.

Im August 2021 wurde mir aufgrund eines High-Risk-Plattenepithelkarzinoms in der Mundschleimhaut, in einer langen Operation etwa 70 % meiner Unterlippe entfernt. Die plastischen Chirurgen versuchten, so viel Gewebe wie möglich zu erhalten, aber gleichzeitig alles zu entfernen. Im ersten Gespräch mit dem Arzt wurde mir gesagt, dass ich Glück hatte, überhaupt noch eine Unterlippe zu haben. Sie entfernten den Tumor ›close margin‹, das heißt ohne Sicherheitsabstand. Nach Leitlinie hätte ich keine Lippe mehr gehabt. Lange war nicht klar, ob auch wirklich alles von dem Tumor entfernt wurde oder ob nachoperiert werden muss. Also musste ich mich nicht nur an mein neues Gesicht gewöhnen, ich hatte auch immer Angst, dass ich diesen neuen Status Quo wieder verliere und mit einer größeren Entstellung klarkommen muss. Denn so fühlte ich mich – entstellt und entfremdet.

Auch wenn ich mein neues Gesicht schnell akzeptierte – eine Wahl hatte ich ja nicht – war ich im Umgang mit meinen Mitmenschen sehr unsicher. Was denken die Leute, wenn sie mich sehen? Werden sie vielleicht sogar angeekelt sein? Ich hatte sogar die Befürchtung, dass meine Neffen Angst vor mir haben. Ich hatte viele Narben im Gesicht. Durch die Modellierung einer Lappenplastik ziehen sich die Narben von einem Nasenflügel, übers Kinn mit der zusammengenähten Unterlippe, bis zum anderen Nasenflügel. Mein Glück im Unglück war die Maskenpflicht. So war die Maske für mich ein Schutzschild vor den Blicken der Menschen. In diesen Momenten konnte ich noch eine ›normale‹ Person sein.

Mir war aber klar: Das wird nicht ewig so gehen. Also was tun? Soll ich mich jetzt verstecken? Es gibt einen Spruch, der besagt: ›Der Weg weg von der Angst, geht durch die Angst.‹ Und so habe ich mich entschieden, offensiv vorzugehen und der Welt da draußen mein kaputtes Gesicht entgegenzustrecken. Als Mittel fiel die Wahl auf Instagram. Ich kannte diese Plattform bisher als Tool, um anderen zu zeigen, wie toll man ist oder aussieht (und was man gegessen hat). Ich wollte dieser Welt einfach zeigen, dass es reale Gesichter gibt, die nicht durch einen Weichzeichner geglättet werden können. Ja, es war auch viel Trotz und vielleicht auch etwas Wut dabei.

Was ich aber auf Instagram vorgefunden habe, war eine ganz andere Welt. Ich habe eine tolle Gemeinschaft gefunden – eine ›Krebsi-Bubble‹ mit anderen Betroffenen, die auch Narben an vielen Stellen trugen. Sei es am Körper oder an der Seele. Die verstanden, was in mir vor sich geht. Ich habe tolle Menschen kennengelernt, ein paar sogar im realen Leben getroffen. Tiefe Gespräche geführt, wertvolle Tipps und Hilfen bekommen und erfahren, dass ich mit diesem Gesicht akzeptiert werde. Es hat mir den Heilungsprozess und die Akzeptanz in der echten Welt erleichtert. Ich hatte weniger Angst zu zeigen, wie ich bin und habe gelernt, es als meine neue Identität anzunehmen.

Heute bin ich stärker und selbstbewusster als vor meiner OP. Natürlich hadere ich immer noch mit den Narben und den Folgen. Das Gewebe ist teilweise taub, ich habe Schmerzen und Verspannungen im Gesicht, ein breites, freies Lachen ist nicht mehr möglich und … na ja …knutschen ist halt auch nicht mehr so cool wie früher.

Apropos knutschen: Ich habe sogar die Liebe gefunden. Einen Menschen, der sich nicht an den Narben stört und einfach den Menschen dahinter sieht.

Und nach vier Jahren in Remission bin ich schon fast dankbar, wie alles gekommen ist. Welche Chancen sich mir durch diesen krassen Einschnitt geboten haben und dass ich mich nicht in Angst verkrochen, sondern die Identitätskrise zum Wachstum genutzt habe.

Meinen Neffen hatten übrigens keine Angst vor mir. Ich glaube, Kinder gehen mit solchen Dingen einfach cooler um als wir Erwachsene.«

Pathly LogoPlatzhalter Bild
Marie trägt einen Zopf und eine weiße Bluse.Platzhalter Bild
Autor:in
Helfer:in
Designer:in
Marie Warskulat
Datum
16.7.2025

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